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Von Michael Siebel – Trainer und Coach von Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern und Geschäftsführer der Akademie für Kommunalpolitik Hessen

170000 Kilometer Nervenfasern, 84 Milliarden Neuronen, das ist unser Gehirn. Das sind die numerischen Rahmendaten des Organs, das mit seinen 1,4 Kg nur zwei Prozent des Körpergewichts eines Menschen ausmacht aber 20% des Energiebedarfs unseres Körpers braucht.Wie kaum ein anderes Organ wird das Gehirn in den letzten Jahren erforscht und das hat seinen guten Grund. Das Gehirn ist zentral und wesentlich für unsere Koordination aber auch für unsere Entscheidungsfindung und unser Führungsverhalten. Und alles ist heute „Neuro“. Neuromarketing, Neuroleadership, Neuropädagogik, Neuroökonomie ja sogar Neurotheologie und Neuroästhetik geistern durch den Blätterwald – warum also nicht auch Neurokommunalpolitik?

Das klingt verrückt und ist es vielleicht auch. Gleichwohl ist es lohnend, sich mit den neusten Erkenntnissen der Gehirnforschung auseinander zu setzen, auch und gerade für die Politik und deren wichtigste Disziplin, die Kommunalpolitik.

Für Sozialdemokraten ist das Soziale von besonderer Bedeutung. Es hat der SPD ihren Namen gegeben und ist Kern der Programmatik. Wahlkampfstrategen sagen, dass die SPD nur erfolgreich sein kann, wenn sie diese Kernkompetenz kraftvoll entfaltet. Sozialdemokraten entwickeln diese Haltung aus ihren Grundwerten heraus, aus gesellschaftlicher Analyse oder ganz einfach aus der Erkenntnis, dass wir wollen, dass es ein kleines bisschen gerechter in der Gesellschaft zugehen soll. Aber möglicherweise gibt es etwas in uns Menschen, das Gerechtigkeit einfordert.

Dafür gibt es Hinweise! Neurowissenschaftler der University of Californien haben sich mit dem Teilen auf facebook und anderen sozialen Medien befasst. Ihr Ergebnis: Wer Ideen im Internet teilt, aktiviert zwei neuronale Netzwerke. Einerseits das Mentalizing-Netzwerk, mit dem sich Menschen in andere hineinfühlen können und zum anderen das Belohnungssystem. Damit wollen wir und als Überbringer interessanter und spannender Nachrichten inszinieren und befriedigen damit das eigene Belohnungssystem. Teilen ist also nicht nur selbstlos, sondern es befriedigt das eigene Bedürfnis zu teilen. Dies gilt natürlich dann nicht nur für facebook sondern für alles, wo wir teilen, persönlich motiviert oder staatlich geregelt.

Was heißt das aber auf die kommunale Praxis übertragen? Wenn es stimmt, dass Teilen etwas ist, das Menschen glücklich macht, weil es sie in ihrem Belohnungssystem befriedigt, dann können wir in unserem politischen Handeln darauf mit gutem Gewissen Bezug nehmen. Teilen ist dann sexy, weil es Menschen befriedigt. Vielleicht war es auch das, was Robin Hood so attraktiv gemacht hat: Nimm es den Reichen und gib es den Armen. Das Konzept kommt auch bei Überlegungen zur Erhebung kommunaler Steuern gut an.

Verdirbt Geld den Charakter?

Zumindest für Banker ist dies wissenschaftlich belegt. Der Ökonom Ernst Fehr hat Versuchspersonen aus der Finanzbranche getestet und dabei festgestellt, dass Menschen, die mit Gelderwerb zu tun haben, zum Schummeln neigen. Aber Fehr konnte bei aufwendigen Versuchen auch eine Hirnregion lokalisieren, die die Einhaltung von sozialen Normen steuert. Und er sagt, dass ethisches Verhalten geändert werden kann. Es könnte also sein, dass Bürgerinnen und Bürger von der Erhöhung der Gewerbesteuer leichter zu überzeugen sind, wenn sie die Veränderung als gerecht wahrnehmen.

Was allerdings die Welt völlig verändern könnte sind die ersten Forschungsergebnisse von Tanja Singer, der Direktorin am Max-Plank Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Berlin. Singer arbeitet mit einem riesigen Team und hunderten von Probanten an der Frage, ob Mitgefühl trainierbar oder erlernbar ist. Sie vertritt die These, dass dem so ist und dass dies unser Wirtschaftssystem und damit auch das politische System völlig verändern könnte. Denn das Modell einer ausschließlich nach wirtschaftlichen Kriterien funktionierenden Welt, ist veraltet. Genau das haben die Kritiker von Produkthaushalten schon immer gesagt. Wenn die Steuerung kommunaler Haushalte nur noch über Kennziffern und Balance score Cards funktioniert, wird eine wichtige und zutiefst menschliche – neuronal determinierte Ebene – ausgeblendet. Eine Kommunalpolitik, die nur noch auf vermeidlich rationalen Entscheidungsgrundlaben basiert, könnte vor diesem Hintergrund ein Irrweg sein.

Mitgefühl und Empathie als Basis einer neuen Politik?

Das scheint eine gewagte Perspektive. Ist doch das politische System auf ausgefeilte Machtmechanismen aufgebaut, im hirachischen Aufbau der Parteien, gegossen in Dezernatsverteilungsplänen und Dienstanweisungen, die Linienhirachien prägen und – Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kommunalverwaltungen demotivieren. Und entsprechendes gilt ja für die Parlamente und Fraktionen in den Kommunen. Da hat der Fraktionsvorsitzende das Sagen, selten werden in einem demokratischen Verfahren Mehrheitsentscheidungen gefällt und im Zweifelsfall will niemand das Führungspersonal „beschädigen“. Junge Leute müssen sich „hocharbeiten“ und sich erst mal „profilieren“.

Dagegen postuliert Tanja Singer, dass durch die Schaffung von Instrumenten, die eher Kooperation und Teamfähigkeit belohnen, tatsächlich Netzwerke im Gehirn aktiviert und gefördert werden, die prosoziales Verhalten motivieren und auf lange Sicht zu einer kooperativen Gesellschaft führen können. Und: das kann man trainieren! Durch tägliches Training können Achtsamkeit, Mitgefühl und soziale Intelligenz geschult werden. Tanja Singers Lieblingsmetapher dazu: „Im Fittnessclub kriegen sie auch nicht in einem Tag Muskeln. Und ein Baum wächst auch nicht schneller, wenn sie an ihm ziehen“. Ihr neurologisch belegter Tipp: regelmäßiges Meditieren baut den Stress ab und beruhigt den Geist. So wird das eigene Mitgefühl gestärkt. Und selbst Topmanager finden immer öfter an solchen säkularisierten Formen des mentalen Trainings Interesse.

Warum dies nicht auch für Politiker gelten soll? Mitgefühl kann also geübt werden.

Ein weiterer Beleg: in Kindertagesstätten wird im Rahmen des sogenannten Baby Watchings den Kindern ermöglicht, ein Baby nur zu beobachten. Dadurch wird die Achtsamkeit geschult. Das Ergebnis: Kinder gehen weniger konflikthaft miteinander um. Eine interessante Wendung auch für eine neue, soziale Orientierung von Kommunalpolitik.

Intuition in der Kommunalpolitik

Kommunalpolitik auf der Basis von Eingebung, von Intuition betreiben? Sollen wir jetzt unser Expertenrunden, Magistratskommissionen, Gutachten, Gestaltungsbeiräte in die Tonne kloppen?

Nein, natürlich nicht. Ich plädiere nur dafür uns etwas bewußt zu machen, das wir alle kennen aber uns bisher nicht eingestanden haben es benutzen zu dürfen: die Intuition. Und sie ist mittlerweile neurologisch verortet.

Unser Gehirn arbeitet auf zwei Ebenen: einerseits auf der emotional- intuitiven Ebene. Im Limbischen System werden Entscheidungen 300 Millisekunden früher getroffen als im Denkhirn – und das ist auch gut so. Und wir alle kennen diese emotional-intuitive Ebene. Uns begegnet ein Mensch und wir haben sofort eine Einschätzung – die meistens auch stimmt. Wir müssen tausende von Entscheidungen pro Minute treffen und tun dies auch, mit großem Überlebenserfolg. Auch wenn es um komplexe Entscheidungen geht, haben wir blitzschnell ein „Bauchgefühl“. Und diese Bauchgefühl hat mittlerweile eine nachgewiesene neuronale Verortung.

Unser rationales Gehirn dagegen ist dagegen viel langsamer als unser emotional- intuitives Gehirn. Es wägt ab, überlegt, nutzt bestehende synaptische Verbindungen. Es hat seine Rolle und ist wichtig für uns. Es ist sozusagen unser innerer Öko-Check. Aber es ist eben nur ein Teil unserer Entscheidungsfindung.

Warum aber gerade in der Politik das emotional-intuitive Gehirn fördern? Ganz einfach: weil wir es brauchen. Kaum eine berufliche oder ehrenamtliche Tätigkeit ist komplexer oder schneller als die (Kommunal)-politik. Da müssen Entscheidungen manchmal in Windes eile getroffen werden. Ob man sich also so oder anders entscheidet, das ist Politik pur. Dafür brauchen wir unsere Intuition und wir sollten zu ihr stehen.